Residency in Bielefeld
Wie gehen wir ko-produktiv aus dem Leerstand ins neue Quartier?
Anhand dieser Leitfrage geht die TRANSURBAN Residency in 2022 in Ostwestfalen-Lippe auf den Rochdale Barracks der Stadt Bielefeld an den Start. In ihrem zweiten Programmjahr schafft die Residency Übergänge: von einer ehemaligen Kaserne hinein in die Zwischennutzung, über den Stacheldraht hinweg hinein in den Stadtraum von einem Nicht-Ort zu einem urbanen Lebensraum.
Hier wird Stadt und deren Entwicklung künstlerisch verhandelt, denn auf dem Kasernengelände entsteht in naher Zukunft ein neues Quartier. Doch wie verläuft die ko-produktive Quartiersentwicklung von geschichtlich gewachsenem Bestand hin zur Beteiligung, Planung, Abriss, Bau und Neunutzung?
Gemeinschaftlich, in Zusammenarbeit mit der Stadt Bielefeld, Akteuren der Bielefelder Kulturlandschaft und Stadtgesellschaft sowie Künstler*innen und Stadtforscher*innen werden die Rochdale Barracks zu einem temporären Labor; zu einem Spielfeld urbaner, künstlerischer Praxis. Kunst öffnet hier den Dialog zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Gestaltung und Nutzung, zwischen Raum und Utopie.
Aufbauend auf den Erfahrungen und Ergebnissen der TRANSUBRAN Residencies in 2021 im Ruhrgebiet gestaltet sich ein interdisziplinäres Forschungs-, Kunst und Kulturprogramm, das zur Erkundung, Aneignung und Transformation der Rochdale Barracks einlädt. Folgend auf die Forschungsphase im Frühling, öffnet die TRANSURBAN Residency im Sommer die Tore zu den noch verschlossenen Barracks.
Es entsteht ein Ort der gemeinsamen Produktion und Aushandlung von Stadt; ein Ort des Entdeckens, Verweilens und Erleben von urbaner Kunst und Kultur; ein notwendiger kultureller Transitraum einer dynamischen Stadt. Es entsteht ein Modell für die Region Ostwestfalen-Lippe.
„Die Transformation von einer nicht öffentlich zugänglichen Kaserne zu einem neuen Quartier sollte gerecht, grün und produktiv erfolgen und in einem Prozess der partnerschaftlich gemeinwohl-orientierten Quartiersentwicklung verwirklicht werden.“ ¹
Das ehemalige Kasernengelände an der Oldentruper Straße hat eine bewegte Vergangenheit. Während des Dritten Reiches erbaut und als „Langemarck-Kaserne“ 1936 fertiggestellt, nutzte es die britische Armee nach dem zweiten Weltkrieg als Militär-Stützpunkt. Das Areal wurde bis in die 1970er Jahre um weitere Bauten mit rein militärischen Nutzungen erweitert. Mit dem Auszug der Streitkräfte 2020 vertiefte die Stadt Bielefeld den Prozess der Quartiersentwicklung für das neun Hektar große Areal.
Hier soll ein neues Quartier für Bielefeld entstehen, das sich organisch in den umgebenen Stadtraum und seine Nachbarschaften integriert. Ein architektonisch vielfältiges Quartier, das Bestand zu Teilen nutzt, klimaaktiv und autoarm ausgerichtet ist und Mischnutzungen ermöglicht. Ein Quartier, das mit polyfunktionalen, öffentlichen Räumen, attraktiven Grünräumen und einem Quartierszentrum einen neuen nachbarschaftlichen Kern für den gesamten Stadtteil ausbildet. Der aktuell laufende städtebauliche und landschaftsplanerische Wettbewerb wird hierfür eine erste Rahmenplanung hervorbringen.
Die Quartiersentwicklung versteht sich als transparenter Prozess der zu Teilhabe einlädt. Das Format des Runden Tisches ging am 02.02.2022 bereits in seine 16. Runde.
Doch bis das Gelände aus Bundeshand gekauft ist, die Planungen abgeschlossen sind und der erste Bagger rollt, bietet das Gelände Raum für kulturelle Zwischennutzungen. Die TRANSUBRAN Residency entwirft hierfür Strukturen und erprobt die gemeinschaftliche Interimsnutzung mit dem Ziel deren zukünftigen Verstetigung.
1 Stadt Bielefeld, Bauamt, Auslobung Rochdale – städtebaulicher-landschaftsplanerischer Wettbewerb, Bielefeld, 2021, S. 23
orizzontale ist ein Architekturkollektiv mit Sitz in Rom, das sich mobilen Architekturen und temporären Installationen im öffentlichen Raum verschrieben hat. Ihre Installation „8 ½“, die das Filmset des gleichnamigen Fellini-Films als mobile Theaterbühne aus Bierfässern und Bauholz nachbaute, wurde 2014 mit dem Preis des Young Architects Program vom Maxxi Museum und dem MoMa PS1 ausgezeichnet.
Die Installationen des siebenköpfigen Teams entstehen oft aus Reststoffen und -materialien und werden meist in Zusammenarbeit mit den Anwohner*innen des jeweiligen Wohnviertels realisiert. So werden öffentliche Plätze für ein paar Tage zu virtuellen Raketenabschussrampen umfunktioniert, Eisberge aus Holz erheben sich mitten in der italienischen Hauptstadt, Stadtgewässer werden zu nutzbaren, urbanen Landschaften.
orizzontale versteht und verhandelt Stadt als lebendigen Raum der Gemeinschaft. Architektur wird hier zu einem offenen, kollaborativen Prozess, der mit den Konventionen des Städtebaus bricht und sich auf ihren künstlerischen und sozialen Wert besinnt.
In der Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Bielefeld findet der disziplinübergreifende Ansatz der TRANSURBAN Residency Ausdruck. Studierende und Dozierende aus den Fachbereichen Architektur und Gestaltung, den Lehrgebieten Fotografie und Interactive Enviroments, agieren gemeinsam in der Erkundung und Erforschung der Rochdale Barracks. Im Austausch mit den Projektkünstler*innen orizzontale werden Perspektiven verwoben, künstlerische und wissenschaftliche Forschung in Austausch gesetzt.
Unter der Leitung von Prof. Dipl. Ing. Bettina Mons, Prof. Roman Bezjak, Prof. Florian Kühnle und Prof. Bettina Georg entstehen im Rahmen von Seminararbeiten und freien, praxisorientierten Studierendenarbeiten Analysen, Entwürfe, Interventionen und künstlerische Medien, die die Ausstellung auf den Rochdale Barracks, den „Prozessraum“, mit Leben füllen werden.
Im Verlauf der TRANSURBAN Residency entsteht auf den Rochdale Barracks eine raumumgreifende, interaktive und dynamische Ausstellung: der „Prozessraum“. Er vermittelt Forschungsergebnisse und künstlerische Prozesse der TRANSURBAN Residency. Er macht die Übergänge zwischen der ehemaligen Rochdale Kaserne und ihrem umliegenden Stadtraum, deren aktuellem Leerstand und zukünftigen Entwicklung zu einem Quartier sichtbar.
Im Austausch mit diversen Nachbarkommunen Bielefelds verortet der Prozessraum die Rochdale Barracks als Modell innerhalb der mannigfaltigen Konversionsprozessen in Ostwestfalen-Lippe. Es entsteht ein kaleidoskopischer Blick auf die Region, auf die Potentiale und Herausforderungen ihrer Transformationsräume.
Der Prozessraum lädt zum Mitdenken und Gestalten ein. Labs und interaktive Medien öffnen die Entwicklung der Ausstellung für ihre Besucher*innen. In Verbindung mit architektonischen Interventionen entsteht sukzessive eine visuelle Transformation des Geländes; ein Parcours, der zur Erkundung und Wiederkehr einlädt.