Q&A: Lukasz Lendzinski (umschichten)

„Ich würde mir wünschen, dass mehr dieser Orte, die für Konsum geschaffen wurden, für Produktion genutzt werden.“
– Lukasz Lenzinski im Gespräch mit Uta Winterhager.

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Lukasz, was steckt hinter dem Namen „umschichten“, den ihr, Alper Kazokoglu, Peter Weigand und du, eurem Studio gegeben habt?

Lukasz, was steckt hinter dem Namen „umschichten“, den ihr, Alper Kazokoglu, Peter Weigand und du, eurem Studio gegeben habt?

Wir sprachen damals auch über abtauen und umleiten. Wir verstehen unsere Arbeit als etwas in Bewegung. Die Bewegung zum Produkt wird genauso wichtig wie das Produkt. Das hat sich als Grundprinzip unserer Arbeit verfestigt, wir haben ein großes Interesse an Veränderungen, an Wandel, stellen uns immer wieder die Frage: Wie geht die Architektur im Wandel der Gesellschaft mit, wie kann sie die Transformationsprozesse abbilden und unterstützen?

Du bist studierter Architekt, agierst an der Schnittstelle von Design, Architektur und Kunst. Wie würdest du Architektur in der Kunst verorten?

Ich sehe mich und unsere Arbeit mit umschichten in einer Vermittlerrolle genau zwischen diesen Polen Architektur und Kunst. Wir verknüpfen beide Themenfelder und nutzen dabei alle verfügbaren Instrumente und Werkzeuge, um Objekte, Skulpturen, Architekturen zu schaffen, die über das Gebaute hinweg eine kommunikative Kraft haben. Im Hinblick auf Transformationen soll dies helfen, Prozesse des Entstehens und Vergehens mitzustimulieren.

„Gebäude als Ereignisse?!“ mit Fragezeichen und Rufzeichen steht auf eurer Webseite, ist es das, womit ihr arbeitet? Das beschreibt die Möglichkeit, ein Gebäude als eine Verkettung von vielen aufeinanderfolgenden Ereignissen zu begreifen. Wir sind nicht auf den Endzustand fixiert, wo es nichts davor und nichts danach gibt. Sondern als etwas, das entsteht und vergeht, sich verändert und weitergeht. Das Gebaute und auch das Bauen, wenn Menschen Material zu etwas zusammensetzen, Positionen aushandeln. Das Gebaute ist nur ein Ereignis im Lebenszyklus des Materials. Wir beziehen uns hier auch auf die Actor-Network-Theory von Bruno Latour.

Gilt das auch im städtischen Maßstab?

Auf der städtischen Ebene ist die Wechselwirkung von Mensch und Materie noch klarer zu verstehen als im Mikrokosmos einer Architektur selbst. Das war uns auch auf dem Averdunkplatz wichtig. Wir stellen etwas hin, schauen, was es erzeugt und provoziert. Wir beobachten, wir reflektieren, bauen dann um, stellen es woanders hin. Wir wirken und bewirken, und wir bekommen Wirkung zurück, die nutzen wir, zum Weitermachen.

War das denn wirklich so, gab es Momente, wo ihr Inspiration aus der Benutzung des Gebauten durch Dritte bekommen habt? Oder kam das aus dem Team heraus?

In erster Nähe kamen die Anreize aus dem Team heraus, diese sind bereits lokale Expert:innen, wir waren zusammengekommen, um die Objekte und den Raum zu verhandeln. Im nächsten Schritt war es interessant zu beobachten, welche Reaktionen wir von den Passanten bekommen, je nachdem wo wir den Kiosk platziert haben. Wie schaffen wir es, dass die Leute bis hinten durch, zum Averdunk Island kommen, wo stehen wir, wie weit wollen wir vorrücken, wo sind Grenzen? Diese Fragen haben wir nicht im Vorfeld in einem Planungsprozess geklärt, sondern in einer Austragung vor Ort eruiert.

Und was ist deine Aufgabe als Künstler, der im öffentlichen Raum im Stadtraum arbeitet?

Ich sehe den öffentlichen Raum als einen Ausstellungsraum. Das heißt, ich versuche den Raum mit den Regeln des Ausstellens zu befragen. Dabei versuche ich die Beziehung des Ortes mit seinen spezifischen Themen und der darin entstehenden Arbeit zu verstehen. Es tauchen schnell Fragen auf, die den Entstehungsprozess der Arbeit leiten. Welche Themen können wir über die Arbeit sichtbar machen? Wie erreichen wir Adressaten und Ziele der Arbeit? Wie erreichen wir die Aufmerksamkeit des vorbeiziehenden Passantenstrom in dem heterogenen urbanen Raum? Fragen, die sich generell mit der Arbeit beschäftigen, aber auch Fragen, die ganz konkret die Entwurfs-Situation betreffen, z.B. welche Farben wirken unterstützend, damit sich das Objekt vor dem Hintergrund einer Hausfassade absetzen kann? In welchen Proportionen stehen Objekt und Kontext? Welche Strukturen und Raster gibt es auf einem Platz und in welcher Beziehung dazu steht die Arbeit? Fügt es sich oder bricht es aus dem Raster? Diese Fragen beschäftigen sich mit der Wechselwirkung zwischen Betrachter*in, Objekt und Raum und geben Anhaltspunkte für die Gestaltung.

Ihr habt mit umschichten das Prinzip des pRecyclings entwickelt und erprobt. Kam die Methode auch auf dem Averdunkplatz zur Anwendung?

Auf dem Averdunkplatz konnten wir so leider nicht arbeiten, weil das pRecycling viel Zeit zur Vorbereitung braucht, die hatten wir nicht. Wenn man mit neuen Partnern zusammenarbeiten möchte, muss man viel Überzeugungsarbeit leisten. Mögliche Leihgeber überlegen im Vorfeld, ob sie mit ihrem Namen für das, was wir bauen werden, stehen wollen. Es ist also auch eine Prestigefrage. Wenn man viel Zeit für den Entwurf hat, kann man mit den Leihgebern immer wieder rückkoppeln, um ihr Vertrauen zu gewinnen und eine Architektursprache zu finden, mit dem sich die Leihgeber identifizieren können. Auf dem Averdunkplatz sind wir mit dem Entwurfsprozess gestartet, als wir dort ankamen. Aber wir konnten im Vorfeld ein Materialsetting organisieren, den Einkauf von den Schwerlastregalsystemen, dem Anhänger und den Material-Lieferungen von trash galore. Das ist eine Organisation, die Messestände zurückbaut und das Material an Projekte zur Weiterverarbeitung verteilt. Diese Herangehensweise über ein Materialsetting hat ähnliche Wirk-Komponenten wie beim pRecycling Prinzip. Es funktioniert wie ein Baukasten, der es erlaubt, verschiedene Szenarien auszuprobieren und solange die Bauteile immer wieder neu zusammensetzt werden, müssen sie in unversehrt bleiben.

Schauen wir mal auf den Stapelkiosk: wie verlief die Ideenfindung, wie der Entwurfsprozess?

Zunächst hat das Team vom Stapeltor Ideen für die Nutzung gesammelt und aufgelistet, was sie im Kiosk brauchen: DJ-Pult, Theke, Kühlschrank etc. Unser Materialsetting bestand im Kern aus einem Schwerlastregalsystem, Hohlkammerplatten und Siebdruckplatten. Alles war modular, konnte immer wieder anders gefügt, verschachtelt, konfiguriert werden. Der Entwurf passierte ko-produktiv im Bau von vielen kleineren Mikroarchitekturen, die wir kurzfristig als Abbild des Bedarfs gebaut haben. In dem gesamten Zeitfenster entstanden mehrere Kioske, immer mit dem Team gebaut aus dem, was unser Materialpool bot. Als eine Art räumliche Skizzen, in kurzen Bauprozessen, die schnell schemenhaft ein Raumprogramm abbilden und direkt zur Diskussion gestellt werden. Ich muss da immer an Erwin Wurms One Minute Sculptures denken, wir haben hier so eine Art Ten-Minute-Architectures entwickelt.

Wie funktioniert eine offene Bauphase, es bauen ja nicht nur Leute mit, die sich handwerklich auskennen, wie kommuniziert man?

Wir haben die Impulse vom Stapeltor gerne aufgenommen, wenn es hieß, wir brauche eine Theke, dann haben wir geschaut, wie wir die zum Beispiel aus Bierkästen bauen können. Ich habe versucht, dabei auch meinen Ansprüchen an Ästhetik gerecht zu werden, eine gewisse Kontrolle auszuüben, damit das Produkt nicht zu sehr nach DIY aussieht. Das war ein schmaler Grat, denn natürlich wollte ich alle Impulse ernst nehmen, sie dann aber mit meiner Expertise umzusetzen. Wir haben als ein Leger-Träger-System gearbeitet, zu dem uns Friedrich Kiesler inspiriert hat. Das sind statisch simple Abhängigkeiten, die keine komplexe Konstruktion erfordern. Wir haben nicht über Pläne kommuniziert, sondern über das Machen. Wir haben keine Regeln aufgestellt, sondern beim Entstehen genau hingeschaut, was sieht gut aus, was nicht. Und so haben wir auch festgestellt, dass alle Bierkästen blau sei mussten. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, welche Parameter für mich bei der Betrachtung des gerade entstehenden Objektes wichtig sind, und habe versucht, das transparent und nachvollziehbar für alle zu machen. Ein Lernprozess, der am Ende alle befähigt, das Gelernte anzuwenden. Immer, wenn es wieder einen neuen Anlass gab, eine Veranstaltung am Abend, haben wir den Kiosk bewegt, umgebaut, ihn vergrößert. Damit er mit dem Autoanhänger nach Krefeld gefahren werden konnte, musste er ja komplett auseinanderbaubar sein.

Auf dem Averdunkplatz ging es inhaltlich auch um die Abhängigkeit der Innenstädte vom Handel. Wie siehst du die Zukunft der Cities? Hat dir das Leben am Rande dieses Stroms, der täglich durch die Königstraße zieht, neue Erkenntnisse gebracht?

Wenn Projekte wie TRANSURBAN in der Innenstadt einen Raum einnehmen und zu Akteuren der Stadtentwicklung werden, wenn viele städtische Ämter in den Prozess involviert sind, gibt es einen Impact, der die Strukturen massiert. Dass die leerstehenden Räume am Averdunkplatz produktiv genutzt wurden, ist eine Perspektive, die man dem Kunstsektor zuschreiben kann. Wir brauchen Raum für Produktion. Und mit der Produktion, mit dem Bau der Möbel, hat der Raum eine neue Funktion bekommen. Produktion möglich machen, das ist ein interessanter Aspekt an der Schnittstelle von Kunst und Stadtentwicklung. Ich würde mir wünschen, dass in Zukunft noch viel mehr dieser Orte, die für Konsum geschaffen wurden, für Produktion genutzt werden. Und das muss nicht immer nur die Kunst sein, Kunst allein kann das in der Größenordnung einer Einkaufsstraße nicht leisten, Unterstützung muss von der institutionellen Ebene kommen.