Q&A: Roberto Cuellar

„Skateboarding ist eine in höchstem Maße individuelle und vielseitige Ausdrucksform und somit per se auch eine Kunstform.“

Ein Q & A zwischen Roberto Cuellar und Georg Barringhaus. –

Georg: Wir blicken heute auf mehr als ein halbes Jahrhundert Skateboarding zurück; als kulturelle Praxis, Lebensgefühl, Sport und auch Kunstform. Die Formen des Skateboardings haben sich kontinuierlich weiterentwickelt, die sich diversifizierende Szene ist international verwachsen, die Sportart ist olympisch geworden, kanonisiert in der Popkultur und schon längst Teil von Marketing und Werbung. Auch im Museums- und Galerieraum finden wir biografische und formsprachliche Spuren der Skateboarding-Kultur, ihrer Haltung, Ästhetik, Raumwahrnehmung und -deutung wieder. Strategien des Skateboardings wie Raumaneignung, Selbstermächtigung, DIY-Praxis, Umgang mit Architektur, Stadtraum und seiner Erkundung, sind zentrale Zugänge im Verständnis des urbanen Kunstbegriffes.

Wohin geht es mit der „rebellischen“ Skateboardkultur, mit ihren Werten, angesichts ihres Weges in den Mainstream? Und wie bzw. wo verortest du Skateboarding im zeitgenössischen Kunstdiskurs?

Roberto: Ich denke, das Rebellische findet heute auf anderen Ebenen statt, die sich auf verschiedene Art manifestieren, zum Beispiel in Form von neuen Ansätzen in der Praxis und von Trends innerhalb des Skateboardings. Die viele neue Aufmerksamkeit und der Hype um Skateboarding – bzw. dessen Einzug in den Mainstream – kann man als eine Art Werkzeug nutzen. Vor allem das vielfältige Angebot an Präsentationsplattformen wie zum Beispiel Ausstellungen in Museen und Galerien, Werbung, Fashion, Filme etc. ist nützlich für die individuelle Entwicklung. Die Kredibilität und Wertschätzung der jeweiligen kreativen Arbeiten werden auf lange Sicht bald nicht mehr davon abhängig sein, in welchem dieser Präsentationsrahmen die Arbeiten stattfinden, sondern es wird rein um die Originalität und Qualität der jeweiligen Arbeiten gehen, die in ihrem Kern die Essenz von Skateboarding in sich tragen. Davon bin ich überzeugt.

Georg: Du selbst bist jung zum Skateboarding gekommen und hast dich schnell mit dem materiellen Aneignungsprozess von Stadtraum in Form von DIY-Rampenbau beschäftigt. Dabeiwar schon früh ein (wahrscheinlich vorerst unbewusster) künstlerischer Ansatz zu erkennen, der sich in Form von Materialgebrauch und Prozesshaftigkeit der Interventionen ausdrückte. Mit MitteZwanzig bist du dann zur Ausbildung an die Kunstakademie Düsseldorf gegangen. Wie haben Skaten und die bereits genannten Wertvorstellungen und Haltungen deine künstlerische Praxis und deinen späteren Werdegang beeinflusst?

Roberto: Durch Skateboarding lernte ich in sehr jungen Jahren Beharrlichkeit, die man sich durch das ständige Try and Error und das immer wieder Aufstehenmüssen aneignet. Das bringt einen dazu, seine Ängste zu überwinden. Man arbeitet mühsam jahrelang daran, das eigene Repertoire an Tricks zu bereichern. Die Wahrnehmung der Umgebung durch eine äußerst sensitive Betrachtungsweise ermöglicht eine außergewöhnliche Interaktion mit ihr. Die gleichen Merkmale entdeckte ich später beim Schaffen in der Bildenden Kunst: zum einen die Ausdauer, die man braucht, und die Überwindung von Ängsten, um sich und sein Werk ständig neu zu hinterfragen. Zum anderen die verschiedenen Materialien für sich zu entdecken und die jahrelange Übung, die man dafür braucht, um sein eigenes Repertoire an Erfahrungen und Wissen zu bereichern. Dieses setzt man später sensibel zusammen, um zu einer eigenen Ausdrucksform und einem individuellen Style zu gelangen.

Georg: Wie führst du die beiden Welten von Skateboarding und zeitgenössischer Kunst – respektive Außen- und Innenraum – zusammen und wie hat sich dieses Verhältnis und seine Qualität im Laufe der Jahre gewandelt?

Roberto: Ich fing ja ursprünglich mit skatebaren Skulpturen und Rauminstallationen an, die von Grund auf zwei Merkmale erfüllen mussten:

  • Formen, die skatebar sind,
  • Materialien, die den Belastungen durch das Skaten standhalten.

Später dann entdeckte ich die bildende Kunst bzw. die Bildhauerei für mich, bei welcher es für mich zunächst größtenteils um Materialforschung ging. Heute suche ich – egal, ob meine Arbeit skatebar angelegt ist oder nicht – eine Interaktion mit den Betrachter:innen. Diese kann sich in Form physischer oder intellektueller Interaktion manifestieren.

Georg: Schauen wir uns sowohl dein skulpturales Schaffen als auch deine konkrete Arbeit für TRANSURBAN – Die Bühne – genauer an: Wie würdest du die generelle Ästhetik deiner Skulpturen und Installationen in ihrer ganzen vielseitigen Palette von Lichtobjekt, Skate-Obstacle und raumumgreifender Installation beschreiben?

Roberto: Die Ästhetik meiner Arbeit basiert grundsätzlich auf grafischen Formen. Hierbei fasziniert mich am meisten die Idee einer universalen Bildsprache, die durch Formen, Farben und Licht im Gegensatz zum Figurativen oder Abstrakten keine konkreten Bedeutungen in sich trägt, sondern ihre Betrachter:innen dazu einlädt, eigene Assoziationen, Deutungen und Gefühle zu entwickeln, besonders in der partizipativen Interaktion mit meiner Arbeit.

Georg: Welche Bedeutung tragen Material und Licht in deinen Arbeiten?

Roberto: Im Vergleich zu meinen Anfängen, wo ich tatsächlich konzeptuell begründen wollte, wieso ich Licht oder bestimmte Materialien verwende, ist es heute so, dass ich der Wahl meiner Materialien keine Bedeutung zuschreibe. Es ist mehr ein Mix aus funktionalen und intuitiven Entscheidungen, die durch den Ort, an dem die Arbeit ausgestellt wird, entsteht.

Georg: Welche Einflüsse, kulturelle und künstlerische Strömungen wirken dabei auf dich, aus welchen Quellen ziehst du Inspiration?

Roberto: Das ist sehr unterschiedlich. Musik spielt eine große Rolle für mein kreatives Schaffen. Besonders Musik, die durch bestimmte Klänge und deren Arrangement unmittelbare, spezifisch harmonische Klangwelten, bestimmte Gefühle und Assoziationen bei den Hörer:innen erweckt. Ich nenne immer wieder gerne Kraftwerk als eine meiner größten Inspirationsquellen. Ich gewinne aber natürlich auch viel Inspiration aus Werken und Lebensgeschichten verschiedenster Künstler:innen, mit denen ich mich auseinandersetze, und daraus ziehe ich auch Kraft. Dabei geht es mir weniger um spezifische künstlerische Strömungen, es geht mir mehr um Ansichten, Fragestellungen und Erkenntnisse.

Georg: Und die weiterführende Frage: Wie finden sich deine Formsprache und Herangehensweise in Die Bühne wieder?

Roberto: Bei Die Bühne findet das Partizipative unmittelbar statt und auch die klaren, geometrischen Formen sind ganz deutlich. Sowohl in der Silhouette des Korpus der Rampe als auch bei den einzelnen Licht-Elementen. Die Entscheidung zu dieser Gestaltung ist in der Auseinandersetzung mit dem Ort, in der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten des Projektes und unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse entstanden.

Georg: Welchen Einfluss hatte der Ort, der umliegende Brückenraum, der in Säulen und Trassen gegossene Beton mit seinen Linien und Fluchten auf die Entwicklung der Arbeit?

Roberto: Der Standort ist sehr speziell, ebenso schwierig durch die großen Dimensionen des Ortes, die grau betonierten Linien und Fluchten und den Mix aus den bunten Graffiti und der grünen Vegetation. Die Fragestellung war: Wie kann man eine Arbeit erschaffen, welche an diesem Ort nicht untergeht, sondern im Gegenteil diese erwähnten Merkmale hervorhebt und somit eine Harmonie erschafft, die die Menschen dazu einlädt, an dem Ort zu verweilen? Die technisch und ästhetisch begründete Antwort ist die Wahl des dunklen Holzes und die Entscheidung, dass die Arbeit Licht erzeugt und somit sich und den Ort illuminiert.

Georg: Die Konzeption und Umsetzung der Arbeit für TRANSURBAN vollzog sich in einem kollaborativen Prozess mit unterschiedlichen Akteur:innen: Design-Student:innen, Skater:innen, Schreiner:innen und vielen fleißigen Helfer:innen. Wie hast du diesen Prozess wahrgenommen?

Roberto: Grundsätzlich sehr offen. Mir war es wichtig, alle Beteiligten einzubinden und deren Vorstellungen zu hören, um dann mit diesen Informationen zu schauen, inwieweit ich diesen Forderungen gerecht werden und sie in die Arbeit einbinden kann.

Georg: Zu welchen – vielleicht unerwarteten – Ergebnissen hat dieser Prozess geführt und welche Bedeutung misst du der Zusammenarbeit in der Genese der Arbeit bei?

Roberto: Die Art und Weise der Zusammenarbeit zeigte sich trotz der Vorausplanungen hauptsächlich im Entstehungsprozess und das Ergebnis bei dieser Residency ist interessanterweise die Erkenntnis, dass dieser Ort lange noch nicht fertig bespielt ist und somit die lokale Szene dazu einlädt, ihn weiter zu gestalten und zu entwickeln.

Georg: Abseits der vorliegenden Arbeit: Welchen Stellenwert nimmt Interaktion in deinem Œuvre und Kunstverständnis ein und wie äußert sich typischerweise die Interaktion deiner Arbeiten mit ihren Rezipient:innen?

Roberto: Interaktion ist ein Hauptbestandteil meiner Arbeit. Für mich ist es sehr wichtig, dass meine Werke mit den Betrachter:innen und Interakteur:innen auf Augenhöhe sind. Indem ich meine Arbeiten für Betrachter:innen erlebbar mache, sie frei im Raum stehen und man sich um sie herum bewegen kann, sind je nach Position sich unterscheidende Lichtreflexionen, Lichtbrechungen oder vibrierende Oberflächen wahrnehmbar. Meine grafischen, logoartigen Designs laden die Betrachter:innen dazu ein, frei zu assoziieren und eigene, individuelle Interpretationen zu finden. 

Durch die Nutzung und Interaktion mit meinen Arbeiten entstehen Gebrauchsspuren, die das Werk auf materieller Ebene weiterentwickeln. Dadurch werden die Betrachter:innen gleichzeitig Teil des Werkes und seine Mitgestalter:innen.