Ein Gespräch zwischen Roman Milenski, Yasemin Utku und Olivier Kruchinski, moderiert von Florian Heinkel.
„Schalke-Nord ist ein Möglichkeitsraum und wir können dazu beitragen, dass Menschen etwas bewegen wollen“
Während der Residency haben sich auf Einladung von TRANSURBAN Akteur:innen des Projekts zusammengesetzt, um gemeinsam über die Zukunft von Schalke-Nord zu diskutieren. Yasemin Utku, die als Professorin das Studierendenprojekt SCHALKE MARKIERT am Schalker Markt begleitet, Olivier Kruschinski, der für die Stiftung Schalker Markt aktiv ist, die einen Masterplan zur Entwicklung von Schalke-Nord entworfen hat[1] und Roman Milenski, der als Teil der Insane Urban Cowboys und -girls die Residency an der Berliner Brücke betreut, blicken gemeinsam mit Florian Heinkel von Baukultur NRW über das Ende der TRANSURBAN-Residency hinaus und befragen das Projekt nach seiner Bedeutung für Schalke-Nord.
Florian: Die große Frage für das ganze Interview ist ja, wie geht es jetzt weiter nach der Residency und das Motto der Residency ist „building common spaces“. Und du, Olivier, hast darüber gesprochen, dass Möglichkeitsräume entstehen. Wo sind diese Räume und wie entstehen sie?
Olivier: Also, aus Stiftungssicht sind ja eigentlich ganz Schalke und ganz Schalke-Nord ein Möglichkeitsraum, ein Ausprobierraum oder anders formuliert: ein Potenzialraum. Und der Raum ist da. Ich habe von den Stadtplaner:innen und Raumplaner:innen mal gelernt, dass wir frühestens heute in zehn Jahren sehen, dass sich groß was getan hat. Und vor diesem Hintergrund müssen wir, und das ist uns halt unglaublich wichtig, losgelöst von skizzierten Befindlichkeiten einfach visionär sein, mutig sein und uns genau das auch zutrauen. Das heißt, wir setzen uns im besten Fall nicht damit auseinander, warum etwas nicht geht. Sondern wir wollen Wege und Möglichkeiten finden, warum etwas doch eventuell gehen könnte. Und so gesehen, ist dieser Raum schon da, wir müssen ihn nur neu entdecken, wir müssen diese Orte wieder sichtbar machen. Wir müssen anfangen, in den Diskurs zu kommen. Mit der Stadtgesellschaft, mit den Personen, die hier leben im Kiez, mit der Stadtverwaltung etc. Wir müssen versuchen, durch diesen Potenzialort, der momentan noch durch die Defizitbrille gesehen wird, den Wind des Wandels zu jagen und ein Stück weit einen Zauber einkehren zu lassen. Für uns ist Schalke, und da komme ich zum Ende, die ganze Emscher-Lippe-Zone ein schlafendes Dornröschen, das wir wachküssen müssen. Und wir sind dabei.
Florian: Die Stiftung Schalker Markt hat einen Masterplan für Schalke-Nord zur Entwicklung des Quartiers entworfen. Ist diese Residency eine Möglichkeit, Begegnungen zu produzieren, und schaffen sie es, den Dialog zwischen dem Raum und den Bewohner:innen zu schaffen, also diesen Plan mit Leben zu füllen?
Olivier: Den Masterplan selbst mit Leben füllen? Gute Frage! Was Schalke und die Residency betrifft, wo wir ja die Berliner Brücke und den Schalker Markt bespielen, da sehe ich im Endeffekt unsere Aufgabe, Chance und Perspektive darin, dass wir das überhaupt erst einmal machen. Ich glaube, bis es im Best-Case-Scenario und zu einer Umsetzung unserer Vision kommt, da fließt noch viel Wasser die Emscher runter. Vor allem können wir jetzt Aufmerksamkeit erregen, die Orte neu sichtbar machen und das Thema überhaupt spielen. Wie wollen wir zukünftig in Schalke-Nord leben? Spielt die Berliner Brücke im Jahr 2030 dann noch eine Rolle, wenn ja, wie qualifizieren und nutzen wir sie? Beim Schalker Markt kann ich nach einigen Tagen Residency sagen, dass wir ganz konkret etwas bewegt und erreicht haben, weil wir da schon im Austausch sind mit der Inhaberin des Platzes, Thyssen Krupp Electrical Seel. Dadurch wird klar, dass ein Rückfall in den Zustand von vor zwei Wochen eigentlich keine Option mehr ist. Das sind gerade ganz sanfte Wurzeln, die es treibt.
Florian: Sanfte Wurzeln, die es gerade treibt. Also der Beginn von etwas. Roman, du bist von den Insane Urban Cowboys and -girls. Euer Motto ist „Wir fangen gerade erst an“. Ist die Residency der Anfang von etwas Gutem?
Roman: Nein, der Anfang von etwas Gutem ist Schalke per se. Unentdeckt waren sie nicht. Die Residency ist für uns jetzt einfach ein Vehikel, die Eigentümerin des Platzes Schalker Markt auf unsere Seite zu ziehen. Und hier haben wir die Gelegenheit, mit einfachen und pragmatischen Mitteln konkret etwas zu ändern.
Florian: Und welche Fragen waren dein persönlicher Ausgangspunkt für das Projekt?
Roman: Wir haben uns vor allem dem Thema Verkehrswende gewidmet. Mit Blick auf den Schalker Markt stellen wir die Frage: Muss das ein Parkplatz sein oder muss das nicht mehr sein? Und müssen die Straßen nicht wieder zugänglicher und sicherer für andere Verkehrsteilnehmer:innen als für Autos sein? Und müssen sich die Menschen den öffentlichen Raum nicht mehr aneignen? Und die Antwort ist: ja!
Die konkrete Frage wäre: Muss der städtische Raum wieder mehr für Menschen und weniger für Autos da sein?
Florian: Und ist diese Art der Stadtplanung und der Stadtentwicklung, wie ihr sie gerade betreibt, eine neue Herangehensweise?
Roman: Nein, neu ist die nicht. Aber die ist manchmal in Gelsenkirchen neu oder in Schalke oder in Ückendorf oder auch in den wirtschaftlich bessergestellten Stadtteilen wie Buer. Und das ist der zentrale Punkt. Diese Herangehensweise ist nicht neu, sie ist auch nicht unbedingt in Gelsenkirchen neu. Aber sie ist nicht üblich. Und man merkt auch immer wieder, spricht man mal Tacheles und versucht man mal keinen Konsens zu schaffen und zeigt man klare Kante und bringt man die richtigen Leute an einen Tisch, dann merken alle: Ja, hier muss man was machen.
Florian: Und Kunst ist hier ein bisschen das Mittel, um aus dem Konsens auszubrechen? Um letztendlich auch neue Anstöße reinzubringen?
Roman: Ja, Kunst und Kultur sind in diesem Fall ein Vehikel, ein Impuls. Mehr nicht. Wenn das Kunstwerk nicht mehr da ist nach der Residency, aber der Schalker Markt kein Parkplatz mehr ist und entwickelt wird, dann wird unser Ziel erfüllt. Natürlich wäre es umso besser, wenn wir die Tribünen, die als Kunstwerk im Rahmen der Residency entstanden sind, weiter nutzen können. Aber so oder so ist unser Anliegen die Entwicklung des Platzes in einem umfassenderen Kontext.
Florian: Wir haben jetzt über Stadtentwicklung gesprochen und Yasemin, dich interessieren vor allem die Herangehensweise und die Methodik. Schafft das Stellen von Fragen so einen Raum, um Methodik und neue Möglichkeiten zu schaffen?
Yasemin: Auf jeden Fall. Also klar, es ist wichtig, dass man Fragen an einen Ort oder Raum stellt. Zum Beispiel: Wo kommt das her, was wir hier vorfinden? Und: Was geht hier sonst noch und was können wir uns hier im Kontext des Stadtteils vorstellen? Das sind wichtige Zugänge, um ein Gefühl für den Ort und mögliche Perspektiven zu bekommen. Und dafür ist der Schalker Markt prädestiniert, hier gibt es eine spannende Geschichte und der Platz braucht dringend eine neue Zukunft. Als die Studierenden das Projekt angefangen haben, war die erste Frage: Wo liegt denn eigentlich Gelsenkirchen? Und ja, mit Schalke verbindet man den Fußballverein, aber was ist denn der Schalker Markt? Die Studierenden haben schnell festgestellt, dass hier etwas nicht stimmt. Denn für ein klassisches Raumverständnis ist der Grilloplatz der zentrale Platz mit Kirche und einer Art Aufenthaltsqualität, aber nicht der Schalker Markt, der halb unter einer Schnellstraße liegt. Und wir haben gelernt, dass es gar kein öffentlicher Raum ist, sondern ein privater Parkplatz. Der Schalker Markt gehört der dort ansässigen Industrie. Und natürlich stellt man sich die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass es jetzt so ist. Und: Welche Möglichkeiten gibt es für diesen Raum über das Dasein als Schalke-Gedenkort hinaus?
Florian: Aber ist es nicht vielleicht in der Stadtentwicklung üblich, über Fragen neue Möglichkeiten zu erschließen?
Yasemin: Klar, im Idealfall kann man erst einmal Fragen stellen und mit so einer Idee von Labor und Experimentierraum an einen Ort herangehen. Dazu forschen, wie eine Art von Aneignung durch die Menschen hier oder auch eine Inbetriebnahme aussehen kann. Und zwar, bevor Gelder fließen und die große Planung anfängt. Man spricht dann von einer „Phase Null“. Und da kann Kunst eine große Wirkung erzielen, um Orte neu zu sehen. Dass die Künstler:innen, die von woanders herkommen, ganz andere Ideen haben, wie man den Raum wandeln und nutzen kann, ist superinteressant. Das bietet sich in Schalke an und wird auch für die Bewohner:innen im Umfeld des Schalker Marktes einen neuen Blick eröffnen. Ich finde solche Prozesse immer sehr spannend.
Florian: Was ist denn euer Plan, wie es nach der Residency weitergehen soll?
Olivier: Es geht ja immer weiter und der Prozess war ja auch vorher schon in Gang. Die Residency ist ein weiterer Baustein, der als Katalysator und Tool dient und hilft, die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Wir als Stiftung sind mit einer Vision angetreten und uns war von vorneherein klar, dass wird ein Ultramarathon und wir befinden uns jetzt gerade auf den ersten zehn Metern. Mit Bezug auf die Residency wird es so sein, dass wir uns sehr bald mit Thyssen Krupp zusammensetzen, um den Impuls, der aus diesem Projekt gekommen ist, zu nutzen und über die Zukunft des Schalker Markts ins Gespräch zu kommen und darüber, wie der Platz nachhaltig transformiert werden kann.
Florian: Geht es auch darum, dass man zusammen als Gesellschaft anhand so einer besonderen künstlerischen Auseinandersetzung den Willen entwickelt, etwas nachhaltig zu verändern?
Olivier: Uns als Stiftung, und ich kann da auch für die Insane Urban Cowboys and -girls sprechen, geht es ganz klar darum, über die Residency etwas anzustoßen, das nachhaltig wirkt. Das ist das Thema der städtebaulichen Entwicklung vor dem Hintergrund Verkehr. Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen, ob es die Berliner Brücke in zehn, zwanzig Jahren noch gibt oder sie anders gestaltet wird. Und genauso ist es beim Schalker Markt auch. Dass wenn TRANSURBAN im Jahr 2030 kommt, der Schalker Markt sich wie ein Schmetterling in einen sozialen Ort verwandeĺt hat. Dabei geht es uns als Stiftung nicht darum, dem Kiez unsere Ideen überzustülpen. Sondern wir wollen über die Residency gemeinschaftlich und ganzheitlich in einen Austausch kommen und auf Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners, dass dieser Ort transformiert werden muss, aus diesem Potenzialraum etwas machen. Was das ist, ist ergebnisoffen. Das müssen wir jetzt diskutieren.
Florian: Ist das für Stadtplaner:innen die neue Herangehensweise, dass zunächst ein Wille formuliert werden muss?
Yasemin: Das ist nicht neu, wird aber sicher immer wichtiger, um Planungsprozesse anzuschieben und durchzuführen. Ich würde mir wünschen, dass dieses Denken mehr in den Mainstream der Planung kommt. Dazu gehört auch, dass man mehr ausprobiert und darauf guckt, was die Menschen vor Ort wollen. Guckt, was tatsächlich an Aneignung funktioniert. Denn ich glaube – und dafür ist der Schalker Markt ein gutes Beispiel –, man kann keine Gestaltung „von oben“ über diesen Platz legen und darauf hoffen, dass dann alles gut wird. Der Prozess muss gemeinsam mit den Menschen hier vor Ort passieren und deshalb sind solche Formate genau richtig. Die Leute werden neugierig und kommen gucken und sehen, dass man den Platz anders nutzen kann. Daher haben die Studierenden das Projekt SCHALKE MARKIERT entwickelt. Es geht darum, mithilfe von Bodenmarkierungen mit integrierten Sitzbänken Schalke und Schalke-Nord zu verknüpfen und zum Schalker Markt geführt zu werden. Dort mündet die Markierung dann in einem langen Tisch, an dem gemeinsam gefeiert, diskutiert und Zukunft entwickelt werden kann.
Florian: Roman, du bist Soziologe. Wir haben auf der einen Seite die städtische, die bebaute Umwelt und auf der anderen Seite das Leben zwischen den Häusern. Ist die Residency in deinen Augen eine Art und Weise, wie das Leben zwischen den Häusern angeregt wird?
Roman: Ja, natürlich! Vor allem während der Dauer der Residency. Aber was ist danach? Danach kann man ein Leben dort gestalten, wenn das von allen Akteur:innen, die da beteiligt sind, auch gewollt ist. Wir haben hier neben der sozialen Durchmischung noch eine weitere besondere Situation, die Verkehrssituation. Und im Grunde ist das eine Henne-Ei-Situation, die ganz leicht über ein Bottom-up-Konzept zu beantworten ist. Man muss das Ei legen und daraus schlüpft das Küken. Man muss das Thema „Wohnen“ an einen Ort bringen und dann kommen Menschen, die mit diesem Ort etwas machen. Ich bringe mal einen unpopulären Vergleich, nämlich das Kreuzberg der 1980er-Jahre. Da kamen Menschen an einen verwahrlosten Ort und haben aus einer intrinsischen Motivation etwas daraus gemacht. Heute wollen sich alle ins gemachte Nest setzen und ziehen zum Beispiel nach Köln oder nach Berlin, aber das wird sich sicher wieder ändern, denn da kriegen die auch gerade die Quittung für. Und das könnten auch zukünftig die Leute sein, die zum Beispiel nach Gelsenkirchen kommen und hier leben.
Ich möchte noch einmal zurückkommen zu der Frage, Florian, was unser grundlegendes Anliegen ist, und das ist auch der politische Wille. Denn den muss es geben. Wir können mit vielen eigenen Instrumenten, ohne großes Geld, schon was bewegen. Vor allem, wenn wir noch private Akteur:innen haben, die mitmachen. Manchmal ist es einfacher, mit privaten Partner:innen ein Projekt zu machen als mit der öffentlichen Hand. Die müsste sich vielleicht mal hinterfragen. Dass Genehmigungen und Pläne individuell betrachtet werden. Denn jeder Fall ist anders. Dafür müsste es natürlich mehr Personal in Verwaltungen geben. Häufig ist die Bürokratie nicht einmal das Problem, sondern ein zu geringer Kader. In den Verwaltungen müssen mehr Menschen da sein und in den Verwaltungen müssen neue Fokusse gesetzt werden.
Yasemin: Da ist viel dran, aber ich glaube, da ist schon einiges in Bewegung, das würde ich auch für Gelsenkirchen sagen. Die Verwaltung ist ein wichtiger Teil in Planungsprozessen und es ist natürlich nicht unwichtig, welche Politik man hat. Aber ich glaube, wenn sich viele Leute zusammentun und etwas anschieben, dann kann man auch nicht mehr dran vorbeigucken. Deswegen ist der Weg, den TRANSURBAN geht, schon ein ganz guter. Auf Orte aufmerksam machen, die nicht im Fokus stehen, ist total wichtig, und dass die Leute vor Ort in diese Aktivitäten eingebunden sind.
Florian: Also ist die Residency auch das Einfordern von Gemeinwohl?
Yasemin: Auf jeden Fall, klar. Aber ob es eine Residency oder etwas anderes ist, die Notwendigkeit einer stärkeren Orientierung an einer Gemeinwohlentwicklung liegt auf der Hand. Daran führt kein Weg vorbei. Die Residency ist eine Impulsgeberin, die man nicht über-, aber auch nicht unterschätzen darf. Ich glaube schon, dass eine Kraft darin liegt, dass jemand von außen einen Ort auch noch einmal anders deutet. So wie Ya+K es macht, dass sie sich mit ihrem eigenen Zugang mit Schalke beschäftigen und die Menschen vor Ort einbeziehen. Dieser andere Spirit ist wichtig. Und trotzdem muss es etwas mit dem Ort und der Gemeinschaft vor Ort zu tun haben. Denn man muss sich die Frage stellen, was ist, wenn die Künstler:innengruppe wieder weg ist?
Olivier: Da möchte ich gerne noch etwas ergänzen. Es ist von der Genese des Projektes so, dass nicht wir die Residency gefunden haben, sondern die Residency uns gefunden hat. Und das ist ein ganz wichtiger Baustein. Es gibt eine Aufbruchsstimmung, die dazu geführt hat, dass TRANSURBAN auf uns zugegangen ist, weil die mitbekommen haben, dass sich da etwas in Schalke-Nord tut. Es gibt es einen Möglichkeitsraum und wir können als Katalysator dazu beitragen, dass sich Menschen aus einer intrinsischen Motivation heraus, weil sie sich dafür begeistern und etwas bewegen wollen, einbringen.
Roman: Man merkt auch, Diskurs hilft nicht immer weiter, es geht darum, zu machen. Einfach machen. Unsere Motivation, die Insane Urban Cowboys and -girls zu gründen, war, dass wir Macher:innen suchen. Leute, die nicht immer philosophisch diskutieren und Diskurs führen, sondern vor allem machen. Und der ganzen Stadtgesellschaft positive Bilder von diesen Orten zeigen.
Florian: Also vor allem auch positive Zukunftsbilder generieren?
Roman: Genau, die gibt es ja auch schon und es ist unsere Aufgabe, die in die Bevölkerung, in die Verwaltung, in die Politik zu tragen.
Florian: Ist positive Bilder zu generieren die neue Aufgabe von Stadtplaner:innen?
Yasemin: Es ist keine neue Aufgabe, sondern vielleicht sogar das „Kerngeschäft“ von Planer:innen. Vielleicht hat sich aber die Art der Bilder verändert und man muss bei diesen Planungsprozessen auf jeden Fall dranbleiben, es ist ein dynamischer Prozess. Man kann nicht jetzt Bilder entwickeln, die auch in zehn Jahren noch aktuell sind, dafür passiert zu viel.
Florian: Wenn wir jetzt bei Zukunftsbildern sind: Hast du ein Zukunftsbild von Schalke im Kopf?
Yasemin: Ich habe eigentlich ganz viele Bilder vom Schalker Markt im Kopf. Mit dem Hintergrund, was wir in den ersten Tagen der Residency hier schon erlebt haben, kann ich mir vorstellen, dass es für viele Leute die Augen öffnet, was man da alles machen kann und dass man auch nach der Residency daran anknüpft. Es ist ja nur ein Teil, mit dem man jetzt anfängt, und das kann und wird sich hoffentlich weiterentwickeln. Ich kann mir gut vorstellen, dass man an diesem Platz Dinge tun kann, die man an einem ganz zentralen Ort nicht realisieren könnte. Mit der Lage am Rand der Industrie könnte man auf dem Schalker Markt zum Beispiel gut Partys feiern oder Sport treiben oder vieles mehr.
Roman: Meine Vision ist, daran anzuknüpfen. Wir haben hier die Chance, einen Platz städtebaulich neu zu gestalten. Drumherum können Gastronomien entstehen …
Yasemin: … oder ein Open-Air-Kino, man kann sich alles Mögliche vorstellen!
Florian: Ich merke, da ist Tatendrang!
Regina (TRANSURBAN): Aber es gibt da eine Frage, die sich mir aufdrängt. Es wurde ganz viel über Möglichkeiten gesprochen, der Vergleich zu Kreuzberg ist gefallen. Und deswegen wissen wir auch alle, dass es nicht überall gut gelaufen ist, wo es schöner geworden ist. Die Mieten steigen, die alteingesessenen Anwohner:innen werden verdrängt. Was macht denn eigentlich Schalke besser? Kann man für die Entwicklung von Schalke vielleicht etwas von Kreuzberg und dem, was da schiefgelaufen ist, lernen?
Olivier: Vor dem Hintergrund eines möglichen Gentrifizierungsprozesses? Also den sehe ich noch nicht. Dann sind wir über den Ultramarathon hinaus. Mir würde es reichen, wenn die Menschen vor Ort in den nächsten Jahren wieder ein Stück mehr Selbstbewusstsein erlangen. Aus dem Bewusstsein, an einem Ort zu leben, den man auf der ganzen Welt kennt, Energie ziehen können. Sorgen mache ich mir nicht. Oder ich kann es so formulieren, dass es eigentlich ganz wünschenswert wäre, wenn sich die Bevölkerung etwas verlagern würde. Denn die Armutszuwanderung ist in Schalke-Nord schon extrem. Und es muss natürlich auch städtebaulich ein Ziel sein, dass man wieder eine andere Klientel anzieht. Und das ist auch, was wir im Augenblick spüren, dass Fassaden gestrichen und Schrottimmobilien abgerissen werden. Denn sonst passiert das, was bisher passiert ist, dass Armut immer mehr Armut anzieht. Genauso, wie woanders immer mehr Reichtum immer mehr Reichtum anzieht. Und wenn man ein gesundes Mittelmaß findet, sind wir auf einem guten Weg. Wir stehen am Anfang, im Startblock.
Roman: Also von daher sind städtebauliche Maßnahmen auch ein Mittel, um Armutszuzug zu verhindern.
Florian: Aber ist das dann nicht nur eine Verdrängung der Probleme in andere Bereiche?
Roman: Ja, natürlich. Da sind wir wieder beim gesamtstädtebaulichen Entwicklungskonzept. Gentrifizierung kann ja auch positiv betrachtet werden, weil ein Ort erst einmal baulich, sozial, wirtschaftlich und kulturell aufgewertet wird. Man muss das gesunde Mittelmaß finden und aufpassen, dass sich das Problem nicht verlagert. Die Armut hat ja damit zu tun, dass es keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr in den Bereichen gibt, wo die Menschen arbeiten könnten. Die Familie meines Vaters, so wie Oliviers Familie, sind einst als ungelernte polnische Bergarbeiter:innen hergekommen. Das war Landbevölkerung, Hilfsarbeiter:innen. Die haben einen Hammer in die Hand gedrückt bekommen und dann hieß es: „Geh Kohle kloppen“. Solche Arbeitsplätze sind heute alle weggefallen. Du brauchst für alles eine Berufsausbildung, also ist Bildung ein Thema. Und damit sind wir auf einer Metaebene der Residency und auf einer Metaebene von Schalke, das ist ein ruhrgebietweites Problem.
Yasemin: Gesamtgesellschaftlich, das würde ich nicht nur aufs Ruhrgebiet beziehen.
Roman: Genau, das ist in Köln genauso. Wo arbeitet denn jemand, der ungelernt ist oder mit einem Hauptschulabschluss? Du musst für alles studieren, die Berufe werden akademisiert, da frage ich mich, wo denn die Leute mit Mittlerer Reife arbeiten. Wir müssen also gucken, wo kriegen wir Arbeit her oder wo kriegen wir die Bildung für die Menschen her. Natürlich würde dann auch ein Zuzug von außerhalb passieren, der dann wiederum den Effekt hat, die Arbeitslosenquote zu senken und die Stadtkasse zu füllen. Durch den Chemiepark Marl und angrenzend in Nordgelsenkirchen werden perspektivisch in den nächsten Jahren 5.000 Arbeitsplätze frei oder sie werden entstehen. Und da kommt ein Zuzug von Facharbeiter:innen und deren Familien. Wo sollen die alle wohnen? Wir brauchen guten Wohnraum. Die Nachkriegsbauten waren damals schnell hochgezogen, um die Arbeiter:innen schnell wieder mit Wohnraum zu versorgen. Deswegen müssen wir gerade hier in Schalke-Nord über Umbau sprechen.
Olivier: Das ist tatsächlich ein ganz spannendes Thema. Wir leben und arbeiten ja in einem Stadtteil, der mal potenziell für viel mehr Leute errichtet wurde, als jetzt drin leben. Der ist mal für 400.000 Menschen errichtet worden, es leben aber nur noch 260.000 Leute hier. Das heißt, wir müssen uns überlegen, wie wir mit dem Bestand umgehen. Die Menschen sind vor 50 Jahren weggezogen, die Häuser sind nicht mehr bewohnt worden und mutieren peu à peu zu Schrottimmobilien. Wir haben also auf der einen Seite durch Zuwanderung bedingten Bedarf, aber die Menschen wollen natürlich hochwertigen Wohnraum beziehen. Wir müssen uns ganz klar darüber austauschen, wie wir mit unserem Stadtteil umgehen. Wir müssen ganze Häuserblöcke niederreißen.
Yasemin: Na ja, das sehe ich ein wenig anders. Mit Abbruch und Neubau wird nicht alles wieder gut. Die Situation ist komplex, in Gelsenkirchen und anderswo.
Olivier: In Gelsenkirchen haben wir im Augenblick 10.000 leer stehende Wohnungen. Die brauchen wir nicht mehr. Das sind alles wieder Ausprobierräume, Möglichkeitsräume. Da stellt sich die Frage, wie gehen wir damit um?
Yasemin: Da muss man die Spreu vom Weizen trennen. Also nicht per se abräumen, sondern auch gucken, was wie entwickelt werden kann. Ich war vor einiger Zeit mal am Hafen Bismarck. Und ich weiß nicht, was ihr euch vorstellt, aber mir standen da die Haare zu Berge.
Olivier: Nein, natürlich wollen wir das nicht.
Yasemin: Aber das ist das, was gerade passiert. Und da muss man, finde ich, gerade in Orten wie Schalke-Nord genau hingucken. Weil mit der Substanz, die da ist, kann man eben auch eine Art Spirit für neue Entwicklungen erzeugen. Das geht nicht mit einem Neubaugebiet, das großflächig und aus einem Guss entsteht.
Olivier: Nein, da muss man konkret schauen. Nehmen wir mein Herzensprojekt, die Schalker Meile. Ich möchte da nicht wohnen. Niemand von uns möchte an so einem Verkehrspunkt wohnen – auch nicht in Stuttgart, München oder Berlin. Und da müssen wir einfach offen diskutieren, wie wir perspektivisch mit diesen Gebäuden umgehen. Ob das ein Komplettabriss, ein neues Quartier oder was auch immer sein wird.
Florian: Muss man da über die Gebäudesubstanz reden oder vielleicht über die Verkehrsachse?
Olivier: Letztendlich ist das ein symbiotisches Thema. Aber die Gebäudesubstanz ist natürlich in vielen Bereichen extrem vernachlässigt. Ich denke da immer wieder an diese wunderschöne Engelsburg, das gelbe Gebäude mitten auf der blauen Meile, das rein vom Stuck an der Fassade ein traumhaft schönes Gebäude ist. Aber wenn man da reingeht, das ist in einem sehr schlechten Zustand.
Yasemin: Ich denke da an die Gebäudezeile am Schalker Markt. Da wäre es doch gut, sich jetzt zu überlegen, welche Möglichkeiten es im Umgang mit der Substanz gibt. Zum Beispiel Ückendorf hat in der Entwicklung solcher Immobilien einen sehr guten Weg gefunden, finde ich. Mit solchen Maßnahmen kann man doch ein Zeichen setzen, auch in Schalke.
Roman: Das ist natürlich auch eine Kostenfrage. Natürlich soll, wenn möglich, Substanz gerettet werden. Und ich rede auch nicht von solchen Neubaugebieten wie diesem Yachthafen Hafen Bismarck und überhaupt diesen ganzen deutschen Einfamilienhausgegenden, wenn die nicht individuell architektonisch gestaltet wurden. Ich sage immer, Angebot bestimmt die Nachfrage. Wenn du ein Angebot schaffst wie diesen Yachthafen, dann ziehen die Leute dahin. Schaffst du ein gutes Angebot in Ückendorf oder Schalke, dann ziehen die Leute dahin. Es gibt durchaus gute Beispiele, wo so etwas auch in wirtschaftlich schwachen Stadtteilen klappt, wenn individueller, moderner Wohnraum geschaffen wird.
Yasemin: Genau, aber ausgehend von der Bausubstanz. Ich würde mir da städtischerseits mehr Offenheit wünschen. Jenseits des Mainstreams, was Stadtplanung und Verwaltungspolitik angeht. Also mehr ausprobieren, mehr zuzulassen und ich glaube, dazu ist Gelsenkirchen ein guter Ort. Schalke kann ein super Experimentierfeld sein und da würde ich auch noch stärker auf Substanz schauen, bevor ich abbreche. Ich glaube, dass man mit dem, was schon da ist, eine ganze Menge erreichen kann. Gerade am Schalker Markt. Denn wenn es diese Geschichte nicht gäbe, dann wäre es wahrscheinlich gar kein Ort.
Olivier: Es darf auch nicht alles der Politik überlassen werden. Da muss dieser Ruck durch den Kiez gehen, der sagt: „Ich will Teil dieses Zaubers werden.“ Das ist halt total wichtig. Dass jeder sagt „Hier tut sich was, hier bewegt sich was“ und ich trage selbst dazu bei, dass mein Kiez ein besserer wird. Das zu erreichen – und dabei hilft uns TRANSURBAN auch –, das kann nur funktionieren, wenn die Leute Bock darauf haben.
[1] https://stiftung-schalkermarkt.de/uploads/projekte/anlagen_freizeit_gak.pdf